Brief aus Hannover


 

 

 

Hannover. Montag d. 26. Juli 80. Kasten’s Hotel.

 

Meine liebe Frau.

 

Mitten in der Nacht (11/2) bin ich gestern oder richtiger heute hier angekommen. Die Fahrt über Bremerhafen oder Wilhelmshafen, die ich gern gemacht hätte, verbot sich, weil gestern (Sonntag) nur eine Gelegenheit war, von Norderney fortzukommen: die per Dampfschiff über Emden. Ich warmit Norderney fertig, das mir übrigens schließlich in seinergroßartigen Strandpromenade sehr gefallen hat. Ich hatte bis zu dem Momente, wo ich Dir die Bleistiftszeilen schrieb, nurdie Stadt und ihre nächste Umgebung gesehn.

Also wieder über Emden. Die Seefahrt (bin nach Norderney hatte ich den Landweg genommen, der dann blos zuletzt mit einer „Ueberfahrt“ über das ‘Watt endigt) dauerte 4Stunden und war sehr schön. Alles blieb leidlich gesund und nur eine einzige Dame, dicke Maschine, wurde seekrank. Und zwar in demselben Moment, wo das Schiff sich in Bewegung setzte. Sie litt unsagbar und war leidlich tapfer dabei. Wer so organisirt ist, muß zu Hause bleiben, was sie sich auch vornahm. Aber es ist damit wie mit den Entbindungen. Nächsten Sommer wird sie doch wohl wieder hingehn.

Auf der Fahrt von Emden nach Bremen, wohin ich auch noch wieder kam, machte ich die Bekanntschaft eines Herrn v. Rauch, der, früher Offizier, wenn mich nicht alles täuscht, unter die Maler gegangen ist und in Düsseldorf am Verfall deutscher Kunst mitarbeitet.

 Hannover macht einen vornehmen Eindruck, aber doch sonderbar; in mancher Beziehung wie München: groß, weit, leer, forcirte Gothik (die mir doch nicht recht scheinen will) überhaupt etwas ’rauf Gepufftes, wie jemand der sich über seine Kräfte anstrengt und dem die Puste ausgeht.

 

Die Nacht verbrachte ich anfangs sehr trübselig. Es herrschte in meinem Zimmer ein penetrant ammoniakalischer Geruch, vor dem ich nicht einschlafen konnte und wenn ich.schlief, gleich wieder aufwachte. Endlich entdeckt ichs; es war vergessen worden „auszugießen“, dem Bodensatze nach zu schließen, wohl seit 3 Tagen schon. Que faire? Ich schritt zu einem Verdünnungsprozeß. Aber es wurde nur schlimmer: „do’nt touch it“ ist die Devise solcher Beau-reste. So mußt’ ich denn auf irgend eine Weise das ausführen, was das Dienstmädchen vergessen hatte, und geräuschlos Fenster und Jalousieen öffnend und den Vorbeimarsch einer Patrouille abwartend, schoß ich alles in goldenem Bogen (der Mond schien) bis mitten auf den Damm. Nachspülen; denn ich traute dem Frieden nicht und noch weniger dem Bodensatz, und nun wusch ich mich und legte mich beruhigt nieder. Das war meine „entrée joyeuse“ in die Welfen-Hauptstadt, von der ich mir „als Christ, als König und als Welf “ einen reinlichen poetischen Eindruck versprochen hatte. Das alte Lied. Zärtliche Brautpaare haben an ihrem Hochzeitstage, trotzdem Schiller sagt: „Und der Brautnacht hohe Freuden, die die Götter selbst beneiden“ in der Regel einen kolossalen Schnupfen. In den schwereren Fällen Kolik. - Lebt wohl. Morgen, bald nach 3, will ich hier fort und denke etwa 8 Uhr Abends auf dem Lehrter Bahnhof in Berlin einzutreffen. Braunschweig schenk’ich mir. Auf ein frohes Wiedersehn.

 

Wie immer Dein

 

Th. F.

 Emilie und Theodor Fontane, Der Ehebriefwechsel 1873-1898; GBA Bd 3 

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